Mittwoch, 8. November 2017

Kleine geile Nonne? Wenn Kapitalismus sich die Goth-Subkultur einverleibt - und alle machen mit!

Meine lieben alternativen Menschen!

Ich weiß, ich weiß... manchmal bin ich ein kleiner schwarzer Negativ-Schlumpf. Und ich warne euch vor, dieser Post wird kein Lobgesang auf die Schwarze Subkultur, wohl eher ein Klagelied. Aber was raus muss, muss nunmal raus. Und Goth sei Dank leben wir im Blogzeitalter. Also: auf geht's.

Vor gar nicht allzu langer Zeit bin ich aus meiner Heimat im Norden NRWs ins Rhein-Main-Gebiet, genauer gesagt nach Südhessen, gezogen. Was das bedeutet? Allerlei Veränderungen selbstverständlich. Bezogen auf das subkulturelle Leben bedeutet es beispielsweise, dass man sich neue Veranstaltungen und Möglichkeiten suchen muss, um seine - ich nenne es jetzt mal "Szenezugehörigkeit" - zu zelebrieren. Sprich: ich musste mich mal über das subkulturelle Angebot der Umgebung schlau machen. 

Am allerbesten geht dies natürlich mit Hilfe von lieben Mitmenschen, die die eigenen Vorlieben kennen, bestenfalls teilen und Veranstaltungen empfehlen können. Aber ist man wie ich ein eher introvertierter Mensch, gestaltet sich dies häufig nicht so einfach mit den lieben Mitmenschen aus der Umgebung, die man ja auch erstmal kennen lernen muss. Also checkte ich ausgiebig das WWW. Und ja, leider bietet Facebook, als mein Soziales-Hass-Liebe-Netzwerk, hier die einfachsten Möglichkeiten: schnell mal nach "Schwarzen Gruppen" in der neue Heimat gesucht, findet man hier auch ganz schnell Ausgeh- und Veranstaltungstipps, die man der Reihe nach mal abchecken sollte. Mein Fazit: was man da teilweise sehen muss, grenzt an Körperverletzung. Aber mal auf Anfang.

Natürlich geben häufig Flyer und Internetseiten der jeweiligen Veranstaltungen schon einmal einen ersten Eindruck, was den freudigen Besucher dort erwarten wird. Sehe ich leicht bekleidete Mädels, die in ihren neonfarbenen Cypergoth-Outfits ihre Plastik-Spielzeugpistolen in das Objektiv halten, weiß ich beispielsweise: nicht meine Veranstaltung. Ähnliches gilt übrigens auch für Ladies in Lackcatsuits, die statt der Plastik-Spielzeugpistole lieber Plastik-Körperteile gen Linse drücken. Abgesehen vom offensichtlichen visuellen Anreiz steht aber auch oft schon dabei, was musikalisch zu erwarten ist.
Versteht mich nicht falsch - alles hat irgendwo seine Berechtigung - aber vielleicht nicht alles unter dem Deckmantel der Goth-Subkultur. Wo hört sie auf, was gehört dazu, was nicht? Eine andere Diskussion, bei der vermutlich jeder eine andere Position einnimmt. Allein schon die unsagbar vielen musikalischen Mischformen machen es sicherlich schwierig, hier irgendetwas zu "entscheiden", und prinzipiell bin ich ja auch eher gegen eine "Du kommst hier nicht rein"-Mentalität, aber manche Sachen... wie gesagt, eine andere Diskussion. Dieses Faß möchte ich jetzt auch nicht auf machen, da ein Blog unter anderem über eine Kombination aus Goth- und Vintagestyle sicherlich auch dem ein oder anderen aufstößt. Aber gut. Hier geht es um meine Meinung zu dem Ganzen und ich weiß, dass ich mich auf einer Veranstaltung, auf welcher größtenteils Aggrotech oder Cyberkram gespielt wird, als Schwarzmenschin, die doch größtenteils gitarrenlastigere akustische Bespaßung oder waveigere Klänge vorzieht, nicht wohlfühlen werde.

Nun gibt es aber auch sog. "gemischte Veranstaltungen". Da geht man dann doch mal hin, man muss sich ja selbst mal ein Bild machen. Aber ganz ehrlich - und jetzt kommen wir zu dem, was mich zu diesem Post inspiriert hat - wenn ich manch einen Trailer von Veranstaltungen so sehe, möchte ich nicht einmal das:


Das ist der Trailer/Review-Film einer der größten schwarzen Veranstaltungen im Rhein-Neckar-Gebiet. Alles weitere könnt ihr dem Video oder Google entnehmen. Als Kleinstadt-Teen-Bat habe ich mir, als man noch nicht zu allem einfach ein YouTube-Video geschaut hat, in entsprechenden Zeitschriften den eine ganze Seite umfassenden Werbebanner dieser Veranstaltung angesehen und gedacht: man, da wäre ich gern mal. Da hatte ich noch keine Ahnung... :D Ich möchte jetzt auch gar nicht auf dem Club herumhacken (naja, vielleicht doch ein wenig), aber geht es nur mir so, oder fragt ihr euch auch, was das sein soll? Soll das die Goth-Subkultur sein? "Kleine geile Nonne - Warum bist du nackt?" (wie ich jetzt gelernt habe, ein Song der Formation Unzucht)? Dazu Menschen die abgehen, als seien sie auf Speed irgendwo in einem Technoschuppen? Und damit wird für eine schwarze Veranstaltung geworben? Sorry, aber ich finde es kaum zu entschuldigen (es sein denn, man ist 16 Jahre alt und eine BabyBat, die keine Ahnung von der tatsächlichen Subkultur hat, oder alternativ: man hat den IQ eines Wurstbrotes). Hier frage ich mich allerdings eher, welch (geistiges) Niveau diese Veranstaltung noch hat. Mir kommt es absolut albern vor (ist ja auch nicht so, dass Bands wie Agonoize dieses "Ich schockiere jetzt, indem ich mit vulgären Ausdrücken um mich werfe" vor 15 Jahren schon durch hatten - na gut, die machen's auch noch heute).
Vor ein paar Jahren war ich tatsächlich mal dort und habe es gar nicht als so dramatisch empfunden. OK, die Mainhall habe ich gemieden, weil zu erwarten war, dass dort doch eher der "Schwarze Mainstream" bedient wird. In der ein oder anderen kleinen schwarzen Ecke war die Musik auch dann gar nicht so verkehrt und die Leute ganz sympathisch. Vor ein paar Monaten habe ich dann die Lokation noch einmal aufgesucht, und war ziemlich entsetzt. Ein Minifloor (wirklich MINI - gefühlt 5 Quadratmeter groß), auf dem noch ein paar Schätze zu finden waren, der Rest war Party-Schwarze "Schlagermusik", wie im obigen Video zu sehen. Ballermann lässt Grüßen.
Natürlich hat die Gothic Subkultur auch seit jeher mit dem Brechen von Konventionen gespielt, um Abgrenzung zu erreichen. Sowohl Sexualität als auch Tod, Kritik an der Gesellschaft und religiösen Institutionen waren schon immer Thema. Klar -  aber plumper geht es bald nicht. Wo ist die Feinsinnigkeit hin? Die - ja ich möchte schon sagen "schwarze Aristokratie"?  Wo ist die anspruchsvolle Lyrik? Die düsteren berührenden Zeilen der Gesellschaftskritik, die mich einst so an dieser Szene fasziniert haben, dass ich irgendwann in ihren Bann gezogen wurde? Ich weiß, es gibt sie noch, vereinzelte Kleinode. Nur leider kaum noch bei "Szene"-Veranstaltungen zu bewundern. Ich weiß auch, dass es diese "plumpe" Form der "Schwarzen Unterhaltung" auch schon ewig gibt. Mir scheint es allerdings immer extremer, als ob die Schwarze Szene sich im Ausverkauf befindet: "Seht her! Hier ist sie, die Gothic-Subkultur! Offen für jedermann, der mal ein bisschen aus seinem Alltag ausbrechen möchte - hallo, Karneval, Schützenfest und Co! Kleine geile Nonne - zeig doch mal die Möpse" - No difference. Logische Konsequenz unserer kapitalistischen Gesellschaft? Vermutlich. In Zeiten des Clubsterbens zählt wohl vielen Veranstaltern nur noch die Einnahme. Und mit "Kleine geile Nonne" spricht man offensichtlich erschreckenderweise ein ziemlich breites "schwarzes" Publikum an.

Abschließend sei noch gesagt, dass es glücklicherweise die kleinen besonderen Veranstaltungen jenseits der dem Kapitalismus huldigenden schwarzen Mainstream-Großveranstaltungen noch gibt. Man muss sie nur finden. So war ich beispielsweise seeeeehr froh, die Mainzer Horror Highschool besucht und somit für mich entdeckt zu haben. Auch die noch ganz frische "Corona Negra" Veranstaltung in Darmstadt hat mir musikalisch sehr gut gefallen, allerdings wurden die ganzen arg betrunkenen bunten Stino-Studenten irgendwann doch sehr lästig. Als hätten sie noch nie eine Frau in Korsage aus der Nähe gesehen (was sie vermutlich auch nicht haben) - aber das ist eine andere Geschichte.

Und wer meinem Gedankensermon bis hierher gefolgt ist, möge mir doch bitte noch ein paar nette undergroundige Veranstaltungstipps in der Umgebung dalassen - ich denke aus meinem Post ist ersichtlich geworden, in welche Richtung es gehen sollte.

Me - Toilet Cam - @Horror Highschool

Meine lieben Mitschwarzmenschen, das soll es nun für heute gewesen sein.
Cheerio and stay different! Bis Bald!

Eure


4 Kommentare:

  1. Hallo,
    ein sehr schöner Beitrag! Ich finde es auch schade, dass gefühlt der Großteil an schwarzen Veranstaltungen mittlerweile immer mehr aus plumpen *F*cki F*cki Techno* und Düsterschlager bestehen, habe mich deswegen ziemlich aus der Szene zurück gezogen. Hier und da gibt es aber sogar hier in Bayern glücklicherweise noch Parties, die an "traditionelleren" Gothic erinnern, sowohl musikalisch als auch von der Art der Besucher. Gothseidank...
    Und ein sehr schönes Toilettenselfie :))
    Viele Grüße
    Angelica

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    1. Hallo Angelica,
      vielen Dank für deine Worte :)
      Ja, es ist wirklich schade, dass es nur noch sehr vereinzelt diese "traditionelleren" Veranstaltungen gibt und das offenbar ein Großteil der Leute diese dann auch nicht unterstützt, sondern lieber kommerziellen Großveranstaltungen besucht. Diese haben auch in meinen Augen nicht mehr viel mit der eigentlichen Subkultur zu tun und wirken auf mich eher abschreckend, daher kann ich gut verstehen, dass du dich aus dem Ganzen eher zurück gezogen hast. Mir geht es auch oft so, dass ich nach dem Besuch einer Veranstaltung ziemlich frustriert nach Hause gehe. Nicht nur, dass die Veranstaltungen sich verändern, auch die Leute kommen mir zunehmend merkwürdig vor. Vom "Szenezusammenhalt" fange ich gar nicht erst an ;)
      Viele liebe Grüße!

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  2. Hallo.
    Ich bin soeben über deinen Beitrag gestolpert und wirklich froh, dass ich nicht die Einzige bin, die so empfindet!
    Die meisten Gothic-Veranstaltungen meide ich aus Prinzip und wenn ich andere Gruftis kennenlerne, bin ich oft entsetzt, wie vulgär und primitiv man sein kann!
    Fühlte ich mich nicht zur schwarzen Szene hingezogen, um diesem Ballermann-RTL2-Niveau zu entfliehen?
    Gothseidank gibt es aber auch noch intellektuelle Menschen, die man auf tollen Veranstaltungen antrifft. :)

    Alles Liebe
    Frau von Nachtschatten

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    1. Hallo, Frau von Nachtschatten.

      Ich glaube tatsächlich, dass es da draußen noch sehr vielen anderen Schwarzen so geht wie uns. Nur trifft man diese eher seltener auf den großen schwarzen Veranstaltungen.

      "Ballermann-RTL2-Niveau" trifft es leider viel zu gut, was man heute auf den entsprechenden Veranstaltungen der Szene sieht. Der kontrollierte "Freak Out" am Wochenende. Unter dem Deckmantel der "Schwarzen Toleranz" fühlen sich eben leider sehr viele Leute wohl. Aber vermutlich trifft man genau jene auch im Karnevalsverein oder beim nächsten Schützenfest wieder. Oder aber genau dies ist das Problem: aus irgendwelchen Gründen passen sie dort nicht rein ;)

      Ich freue mich auch immer sehr, wenn ich Schwarzmenschen kennen lerne, deren geistiges Potential das einer Fruchtfliege übersteigt. Leider trifft man diese viel zu selten.

      Viele liebe Grüße!

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